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Bericht von der Konferenz "Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen Polen und Deutschland – eine interdisziplinäre Bilanz nach 1,5 Jahren"

Arbeitnehmer_2_190xFest ©Heide Fest
Arbeitnehmer_2_190x ©Artur Barczewski
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ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis beider Länder diskutierten Folgen und Probleme des offenen Arbeitsmarktes

„Arbeitnehmerfreizügigkeit“ ist ein sperriges Wort, dessen Bedeutung aber so einfach klingt: man kann innerhalb der Europäischen Union (EU) als ArbeitnehmerIn in jedem Mitgliedsland arbeiten, in dem man möchte, egal ob für kurz oder für lang, egal ob man auswandert, oder ob man sich einfach einen Ferienjob am Mittelmeer sucht. Dies erscheint vielen Deutschen einfach als selbstverständlich, für Polinnen und Polen ist der deutsche Arbeitsmarkt jedoch erst seit dem 1. Mai 2011 vollständig geöffnet. Demnach war es auch Ziel der Konferenz sich mit der polnischen Perspektive und polnischer Forschung zu dem Thema näher vertraut zu machen, die von mehreren polnischen Expertinnen und Experten  in den Konferenzpanels würdig vertreten wurde. Denn was in Theorie so einfach klingt, bringt in der praktischen Umsetzung, wie so oft, eine Vielzahl an Problemen mit sich. Diesen widmete sich die Konferenz unter dem Titel „Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen Polen und Deutschland – eine interdisziplinäre Bilanz nach 1,5 Jahren“, im Oktober 2012 an der Viadrina, organisiert durch das Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien (ZiP)  und dem Willy-Brandt-Zentrum Breslau. Hier diskutierten Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen wie Jura, Rechts- und Kulturwissenschaften, sowohl von der Viadrina als auch den Universitäten Breslau, Danzig und Warschau gemeinsam mit Praktikern, die tagtäglich mit der Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu tun haben. Das Thema wurde damit sowohl aus der deutschen und polnischen Perspektive, als auch interdisziplinär, aus dem Blickwinkel verschiedener Fachrichtungen betrachtet.

Eröffnet wurde die Konferenz vom Präsidenten der Viadrina, Gunter Pleuger, der die Bedeutung der Konferenz betonte: Einmal handle es sich um ein wichtiges Thema, um die Oderpartnerschaft mit Leben zu füllen. Fragen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit seien in dieser Grenzregion von außerordentlicher Wichtigkeit. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei weiterhin auch eines der beispiellosen Leistungen der EU, die gerade sehr unter Kritik stehe. Probleme bei der Umsetzung der Grundfreiheiten zu erkennen und mögliche Lösungen aufzuzeigen, sei somit auch für eine weitere, positive Entwicklung der EU, als auch der Oderregion, lebenswichtig.

Gleich zu Beginn wurde deutlich, dass das Thema noch relativ unerforscht ist, da noch nicht einmal zuverlässige Daten darüber vorliegen, wie viele Polinnen und Polen nach dem Mai 2011 nach Deutschland eingewandert sind, oder wie viele Deutsche den Weg auf die andere Seite der Oder eingeschlagen haben. Hier liegen bisher nur Schätzungen vor. Klar ist jedoch, dass aufgrund der früheren Öffnung ihres Arbeitsmarktes Großbritannien und Irland weiterhin höher im Kurs als Auswanderungsziel für Polinnen und Polen stehen. Aus deutscher Sicht wird Polen dafür immer beliebter, es rangiert mittlerweile regelmäßig auf den Plätzen 4-5 der beliebtesten Auswanderungsländer, hinter der Schweiz, Österreich, den USA und Großbritannien.

Während der Konferenz wurden z.B. Folgen und Regelungen für Steuersysteme und Sozialversicherung diskutiert.  In welchem Land wird man versichert oder versteuert, wenn man sich regelmäßig in beiden aufhält oder in beiden Ländern in die Rentenversicherung eingezahlt hat? Monika Tomaszewska, Professorin für Arbeitsrecht von der Universität Danzig, stellte den Fall einer polnischen Arbeitnehmerin vor, die für 20 Jahre in Frankfurt (Oder) zu Zeiten der DDR gearbeitet hatte, nun aber, aufgrund von polnischen gesetzlichen Regelungen aus den 1980er Jahren aus dieser Zeit keine Rentenansprüche geltend machen kann. Laut Tomaszewska könnte hier die Anwendung von EU-Recht noch einmal eine neue Wendung bringen, da die Arbeitnehmerin ihren Rentenantrag im Jahre 2005 nach Polens EU-Beitritt stellte und somit durchaus EU-Recht anwendbar sei, was zu einer Anrechnung der deutschen Ansprüche führen könnte. Marek Rydzewski, Geschäftsführer Versicherungen der AOK Nordost, erklärte, dass in bestimmten Konstellationen die Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit eine Einstellung eher verhindern als befördern. Eine komplizierte Situation sind beispielsweise die sogenannten versicherungsfreien deutschen '400 Euro-Jobs'. In Deutschland seien die ArbeitnehmerInnen i.d.R. anderweitig versichert, sei es über eine Familienversicherung oder als StudentIn. Ein Pole, der keine Versicherung hat, müsse sich jedoch freiwillig versichern, was zu hohe Kosten zur Folge hat. Ist der Pole jedoch weiterhin auch in Polen beschäftigt, müsste der deutsche Arbeitgeber dann Sozialversicherungsbeiträge in Polen bezahlen, wovon die meisten eher abschrecken, da es mit erhöhtem Bürokratieaufwand verbunden ist. Ähnlich sei die Situation für polnische SaisonarbeiterInnen, die seit dem EU-Beitritt für den Zeitraum ihrer Arbeit in Deutschland versichert werden müssen. Dies mache sich in einem Rückgang polnischer Saisonarbeit bemerkbar.

Zum Abschluss der Konferenz machte die Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Polenstudien Dagmara Jajesniak-Quast deutlich, wie vielseitige Fragestellungen sich aus dem Thema noch ergeben, die während der Konferenz nicht oder nur ungenügend behandelt wurden: Neben der weiteren Entwicklung der rechtlichen Regelungen, müssten auch die Folgen für die Demographie, Sprache oder auch für das Familienleben betrachtet werden.

Die von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern als fruchtbar und anregend gefundene Konferenz bildet somit nur den Auftakt in dieses Forschungsfeld. Eine Publikation im Anschluss der Konferenz ist bereits in Vorbereitung und wird als 1. Band der Schriftenreihe des ZIP im Berliner Wissenschafts-Verlag erscheinen.

Laura Kiel